(gleicher Artikel in englisch)
Aus: Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht, 49. Jg. 3/2000, S. 331 ff.
Einige Anmerkungen zu M. Mildes "Some Question Marks about the Price of ‘Russian Air’" (ZLW, 49. Jg. 2/2000, S. 147 ff.)
von Gerhart R. Baum, Köln, Prof. Dr. Elmar Giemulla, Berlin und Dr. Heiko van Schyndel, Berlin
1. Hintergrund
Die Autoren dieser „Anmerkungen" sind seit etwa 10 Jahren in der Russischen Föderation auf dem Gebiet des Luftverkehrsrechts beratend tätig und wurden in diesem Kontext auch mehrfach mit dem Problem der Überfluggebühren1 und der „Royalties"2 konfrontiert.
Die Haltung von Dr. Anatoly Nikolaevich Brylov3, auf den M. Milde mehrfach Bezug nimmt, ist den Autoren deshalb bestens bekannt. Sie ist in der Tat problematisch, stellt sie doch den Versuch einer juristischen Rechtfertigung einer für den Nutznießer äußerst komfortablen Situation dar, der in Abwandlung eines bekannten Sinnspruchs nur folgendermaßen zu erklären ist: „Es kann nicht sein, dass nicht sein kann, was unbedingt sein muss".
Den Bedenken M. Mildes gegen Überfluggebühren und „Royalties" ist insgesamt zuzustimmen, wenngleich seine Annahme nicht ganz zutreffend ist, in dieser Angelegenheit sei bisher noch nichts unternommen worden. Verwiesen sei nur auf die folgenden Aktivitäten:
All diese Bemühungen blieben jedoch bisher ohne nennenswerte Erfolge, da sich die russische Luftfahrtbehörde zu keinem Handeln veranlasst sah.4 Wer nach Asien oder von Asien über Sibirien fliegen will, muss zahlen!
Gewisse Unruhe hat in Moskau jedoch die Durchführung eines EU-Projektes in den an Russland grenzenden Staaten des sogenannten südlichen Ringes (ehemalige Seidenstraße) hervorgerufen, das die Bezeichnung trug „The air traffic control training and development of air routes in the Southern Ring". Man befürchtete die "Abwanderung" der westlichen und fernöstlichen Airlines auf die neu entwickelten Trassen. Bisher ist dies aus operativen Erwägungen der Airlines allerdings nur bedingt möglich und verwirklicht worden.
Auch die Autoren dieser „Anmerkungen" haben auf die von M. Milde (S. 148) gestellten Fragen keine oder nur sehr widersprüchliche Antworten erhalten:
2. Zur Rechtmäßigkeit von Überfluggebühren und „Royalties"
Die Frage der (Un-)Rechtmäßigkeit von Überfluggebühren und „Royalties" kann juristisch nicht – wie M. Milde dies tut – über einen Kamm geschoren werden. Sie muss differenziert angegangen werden.
Zu den Überfluggebühren: Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Prinzip der Lufthoheit. Art. l des Abkommens von Chikago sagt dazu: "Die Vertragsstaaten erkennen an, dass jeder Staat über seinem Hoheitsgebiet volle und ausschließliche Lufthoheit besitzt." Hieraus könnte man zunächst ableiten, dass jeder Staat den Einflug in sein Hoheitsgebiet von beliebigen Bedingungen abhängig machen kann, d. h. auch beliebige Gebührentatbestände schaffen kann.
Dem steht allerdings Art. 15 letzter Satz des Abkommens von Chikago entgegen, der festlegt, dass "Die Vertragsstaaten … keine Gebühren, Taxen oder sonstige Abgaben für ihr Hoheitsgebiet lediglich für das Recht der Durchreise, Einreise oder Ausreise eines Luftfahrzeuges eines Vertragsstaates .... (erheben)". Diese Vorschrift verbietet, für die bloße Gewährung des Rechts (der Durchreise) als solches eine Gebühr zu erheben. Der Erhebung von Gebühren für die Gewährung von Flugsicherungsdiensten zur sicheren Abwicklung der Überflüge (Streckengebühren) steht das Abkommen von Chikago nicht entgegen. Nach ICAO Doc. 9082/4 müssen diese jedoch kostenbasiert und transparent sein. Folglich sind Überfluggebühren, da die Russische Föderation als Rechtsnachfolger der UdSSR Mitgliedstaat des Abkommens ist, im vorliegenden Fall rechtswidrig, weil sie nicht Gegenleistung für eine Leistung (Flugsicherungsdienste) sind, sondern für das "Recht des Überfluges" als solches erhoben werden.
Unabhängig von der Frage der materiellen Berechtigung der Gebührenforderungen stellt sich die Frage, wer zu ihrem Einzug berechtigt ist.
Unterstellt, sie könnten rechtmäßigerweise erhoben werden, so stünde die Einzugsberechtigung dem russischen Staat zu. Der Luftraum ist eine hoheitliche Angelegenheit, die von dem jeweiligen Staat verwaltet wird (vgl. auch Art. l des Abkommens von Chikago). Gebühren für seine Benutzung sind deshalb auch hoheitlicher (und nicht kommerzieller) Natur.
Es ist allerdings nicht unüblich, dass der Staat Aufgaben auf Private (wegen ihrer größeren Sachnähe) überträgt. Dies muss jedoch ausdrücklich geschehen (sog. Beleihung). Seit ihrer Organisationsprivatisierung ist die ARIA nicht mehr Bestandteil des Staates. Ein Gebühreneinzug erfolgt deshalb seitdem nicht mehr in Ausübung eigener staatlicher Befugnisse. Für eine Beibehaltung dieser Praxis müsste der russische Staat die ARIA ausdrücklich ermächtigen und bei dieser Gelegenheit auch festlegen, was mit den eingezogenen Gebühren zu geschehen hat. Unseres Wissens ist eine solche Beleihung bisher nicht erfolgt.
Zu den „Royalties": Sie sind ihrem Wesen nach keine (vom Staat erhobenen) Gebühren, sondern (kommerzielle) Entgelte für die Überlassung einer kommerziellen Chance an eine Fluggesellschaft durch eine andere. Die (rechtliche) Möglichkeit, ein Entgelt für die Überlassung dieser Chance zu verlangen, setzt allerdings voraus, dass das ursprüngliche Halten dieser Chance bereits ein geldwerter Tatbestand ist. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die von einem designierten Luftfahrtunternehmen ausgeübten Verkehrsrechte Teil des Vermögens dieses Unternehmens sind. Entstehungsgrund von Verkehrsrechten sind bekanntlich die bilateralen Abkommen zwischen den betreffenden Staaten, aufgrund derer Kapazitäten, Frequenzen und Anflugpunkte festgelegt werden. Jedenfalls in den nichtliberalisierten Abkommen räumen sich die beteiligten Staaten gleiche Chancen ein. Dies geschieht nicht in erster Linie zum (kommerziellen) Schutz der jeweiligen heimischen Luftfahrtunternehmen vor denen des Vertragsstaates, sondern ist Ausfluss des völkerrechtlichen Grundsatzes der "Gegenseitigkeit". Ist der (bzw. sind die) jeweils designierte(n) Carrier nicht in der Lage, diese Rechte auszufüllen und "gestattet" dieser einem Carrier des anderen Vertragsstaates die Ausübung ihm selbst zugewiesener Verkehrsrechte, so geschieht das im Interesse beider Vertragsstaaten (Ausfüllung der gesamten Kapazität im Interesse der vollständigen Bedienung des Verkehrs zwischen den beiden Vertragsstaaten). Es handelt sich bei den Verkehrsrechten also um öffentlich-rechtliche Rechtspositionen, die von den beteiligten Staaten jedenfalls nicht in erster Linie im Interesse der beteiligten Unternehmen geschaffen wurden und die deshalb keine subjektive Rechtsposition dieser Unternehmen darstellen. Sie können deshalb unter dem Blickwinkel des Rechts auch nicht kommerzialisiert werden.
Auch hier stellt sich unabhängig von der Frage der materiellen Berechtigung der Gebührenforderungen die Frage, wer zu ihrem Einzug berechtigt ist. Hier könnte sich - ihre materielle Rechtsmäßigkeit entgegen den obigen Ergebnissen unterstellt - der öffentlich-rechtliche Charakter allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Konzessionsgebühr ergeben. Würde eine solche vom russischen Staat aus Anlass der Designierung eines (russischen) Unternehmens und der Wahrnehmung dieses Rechts durch das Unternehmen erhoben, so würde sich durch die Weitergabe der Gebührenbelastung im Wege der Überlassung von Nutzungsrechten an eine westliche Fluggesellschaft nichts an ihrem Charakter ändern. Die "Royalties" stünden dann dem russischen Staat zu, der das ursprünglich designierte Luftfahrtunternehmen mit der Einziehung beauftragen könnte. Unseres Wissens erhebt der russische Staat eine solche Konzessionsgebühr allerdings nicht. Der Entstehungsgedanke der "Royalties" ist vielmehr die Teilnahme an Gewinnen, die das westliche Unternehmen mit Hilfe der ihm übertragenen Nutzungsmöglichkeiten macht. Damit liegt den "Royalties" eine kommerzielle Erwägung zugrunde. Unter diesem Gesichtspunkt wäre ARIA unmittelbar (d. h. aus eigenem Recht) einzugsberechtigt; für eine Weitergabe der Einnahmen an den russischen Staat gäbe es dann keinen rechtlichen Grund.
Unter dem Blickwinkel der von der Russischen Föderation angestrebten Mitgliedschaft in der WTO gewinnt noch ein anderer Aspekt dieser Problematik Bedeutung – die Gleichbehandlung und der faire Wettbewerb.
Falls man dem Luftraum - entgegen der obigen Auffassung - wirtschaftliche Verwertbarkeit zusprechen sollte, dann ergeben sich hieraus mindestens folgende Fragen:
Die Autoren teilen die Auffassung M. Mildes, dass das Problem der Überfluggebühren und der „Royalties" schnell gelöst werden muss. Jedoch erscheint es derzeit einzig und allein über die WTO und den von Russland gewünschten Beitritt zu dieser Organisation lösbar. Die anderen von M. Milde genannten Organisationen (S. 157) haben das ihnen derzeit mögliche versucht und sind – aus den verschiedensten Gründen – gescheitert. Es wird interessant sein, zu beobachten, ob die WTO die Kraft haben wird, Russland insofern zur „Normalsituation" zurückzuzwingen und – umgekehrt – zu welchen Zugeständnissen Russland bei einem Beitritt in die WTO bereit sein wird.
1 Überfluggebühren werden im vorliegenden Zusammenhang verstanden als „Gebühren" für die Benutzung des Luftraumes. Sie werden erhoben für das "Recht des Überfluges" als solches. Sie sind hoheitlicher (und nicht kommerzieller) Natur.
2 „Royalties" werden definiert als „payments made to the developer (inventor) of a product based in the amount of product sales" (vgl. „Lectric Law Library’s Lexicon, http://192.41.4.29/def2/q060.htm); im vorliegenden Falle werden sie jedoch als „kommerzielle Entgelte für die Überlassung einer kommerziellen Chance an eine Fluggesellschaft durch eine andere" begriffen.
3 Die Annahme von M. Milde ist richtig, dass es sich stets um dieselbe Person handelt. Es hat sich "nur" seine Diensttellung bzw. die Bezeichnung seines Arbeitgebers geändert. Dr. Anatoly Nikolaevich Brylov ist derzeit Mitglied der Akademie der Naturwissenschaften und Exekutivsekretär/Leiter des Apparates des Direktorenrates der Aeroflot – Russian International Airlines (im folgenden: ARIA), war vormals Mitglied des Direktorenrates der ARIA und stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung der ARIA und davor stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung des sowjetischen Ministeriums für Zivilluftfahrt, das in kommerziellen Beziehungen zu Dritten die Bezeichnung „Aeroflot – Soviet Airlines" trug, und in dieser Eigenschaft auch Vertreter der UdSSR bei den ICAO-Treffen.
4 Sie war und ist der Meinung, dass die Positionen „ihres" National Carriers zu verteidigen sei. Für Liberalisierung oder Deregulierung sei es auch oder gerade bezüglich des Luftraumes der Russischen Föderation noch zu früh.
5 Vgl. M. Milde, ZLW 49 Jg. 2/2000, S. 152 und dessen Verweis auf ICAO Doc 7100 (1999).
6 M. Milde zitiert an einer Stelle K. Marx: „Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit". Dieses Zitat wurde in der marxistischen Gesellschaftswissenschaft jedoch noch durch die Worte ergänzt: „... und danach zu handeln". Und genau dies scheinen die westlichen und fernöstlichen Luftverkehrsgesellschaften zu praktizieren – zumindest in ihrer (fehlenden) Öffentlichkeitsarbeit: Sie sehen die Notwendigkeit (zu schweigen) ein und handeln danach. |